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Soziale Dissonanz

Bei Wahlumfragen wird manchmal gefragt, was Sie als größtes Problem in Deutschland betrachten würden. Ich habe darauf geantwortet: Soziale Dissonanz

Den Begriff gibt es so in der öffentlichen Diskussion nicht. In der Musik steht die Dissonanz für „auflösungsbedürftige“ Tonkombinationen. In der Psychologie ist die Dissonanz ein Widerspruch von Entscheidung und Wahrnehmung und die daraus folgende innere Spannung. Im übertragenen Sinne ist eine soziale Dissonanz also Unstimmigkeiten in Gruppen oder Gesellschaftsschichten.

Tatsächlich betrachte ich unsere bundesdeutsche Gesellschaft als nicht mehr stimmig. Vielleicht war sie es nie. Doch die derzeitigen Verwerfungen und Unstimmigkeiten sind bestimmt nicht grundlos einfach nur so vorhanden. Deswegen habe ich das Problem für mich als soziale Dissonanz bezeichnet.  Die kognitive Dissonanz bezeichnet laut Wikipedia „in der Sozialpsychologie einen als unangenehm empfundenen Gefühlszustand. Er entsteht dadurch, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten), die nicht miteinander vereinbar sind.“ Das betrifft aber nur einen Menschen. In der sozialen Dissonanz sind es aber Gruppen von Menschen, die sich gegenseitig in ihrer Wahrnehmung bestätigen.

Nehmen wir eine Clique von Vorstandsvorsitzenden und ihre Angehörigen oder ein Gruppe von Bundestagsabgeordneten und ihre Angehörigen oder auch einfach ein paar Beamte und ihre jeweiligen Angehörigen, sie bilden soziale Gruppen, die sich in ihrer jeweiligen Ansicht bestätigen. Ebenso kann dieses für meine Begriffe in einer Gruppe von SGBII-Empfänger erlebt werden, die sich untereinander im Jobcenter bestätigen. Obwohl das BGE in dieser Gruppe eigentlich Zustimmung erhalten sollte, wird das nicht der Fall sein. In dem Bemühen dazugehören zu wollen, wird das bei SGBII-Empfängern eher abgelehnt. Ebenso sind dort auch keine Unterschriften für eine BGE-Partei zu erhalten. Die Gruppe ist in der Zwischenzeit so abgehängt, dass sie denkt und der festen Überzeugung ist, dass „man“ bei dem politischen System sowieso nichts machen kann. Sie verhalten sich schlimmer als römische Sklaven, diese hätten wenigstens mit Spartakus ihr Leben gegeben.

Ein Bundestagsabgeordneter oder ein Vorstandsvorsitzender hat von dieser Gruppe gar keine Ahnung, denn diese soziale Gruppe hat keinen Kontakt zu diesen Menschen oder nur einen Schein davon. Denn selbst wenn sich ein SGBII-Empfänger im Bewerbungsgespräch mit einen dieser Menschen befände, er würde nie von seiner Lebenswirklichkeit offen reden können. Die Kontakte sind dann Scheinkontakte. Es ist nur ein oberflächliches Streifen, eine flüchtige Berührung in der Gesellschaft aber nicht ein Austausch.

Die Überforderung eines Bundestagsabgeordneten mit den gesamtgesellschaftlichen Problemen ist nicht minder. Wer sich die Bundesdrucksachen wirklich mal durchgelesen hat, das kann kein Abgeordneter wirklich leisten. Er muss darauf vertrauen, was seine Fachkollegen zu einem Gesetz sagen. Hier kommen wir aber zu dem Punkt, wo auf Leute wie Paul Kirchhof ja noch nicht mal gehört wird. Die Fachleute laufen eigentlich Sturm und betteln um eine Reform. Das kann man auch bei dem Sozialreformer beobachten, der früher als Experte für Fernsehsender gehört wurde und später als SPD Bundestagsabgeordneter derzeit am Scheitern ist.

Die Politik ist taub geworden. 

Wir leben in einer sozialen Dissonanz. Eine Ursache ist sicherlich auch, dass nachdem die Verwürfelungen der Nachkriegszeit vorbei waren, sich wieder Schichten ausgebildet haben. Von der Leyen ist die Tochter von Albrecht und so gesehen in dieser politischen Kaste. Aber es gibt auch die industrielle Schicht, das wären dann die anderen Albrechts, die Aldi geschaffen haben, aber auch der alte Adel ist noch vorhanden wie von Thurn und Taxis. Die Unterschicht hat es mit Norbert Blüm vielleicht ein bisschen nach oben geschafft, aber danach kam so schnell nichts mehr nach. Aber selbst wenn sind diese Streber dann wenn sie nicht gerade alt sind wie Norbert Blüm eher dabei Anschluss zu finden. Aber die Durchlässigkeit des Systems ist nicht mehr gegeben 2017.

Das hat auch was mit Resourcen zu tun, denn ein neuer Kandidat in der Politik tritt immer gegen einen Amtsinhaber an, der 600.000 Euro aus der letzten Legislatur zur Verfügung hat, selbst wenn ein Teil davon für tatsächlichen Aufwand verbraucht worden ist, hat er locker 30.000 übrig um seine Position zu verteidigen. Die muss ein Neuling erst einmal aufbringen.

Da reden wir von Summen, die ein Armer gar nicht mehr durch ehrliche Arbeit verdienen kann, wer auf SGBII-Niveau ist oder knapp drüber hat höchstens die Hälfte davon und die braucht er so dringend zum Überleben, dass für einen Wahlkampf Nullkommanull übrig blieben.

Wenn überhaupt schafft es in ein Parlament ein Selbstständiger, der ein Polster für einen Wahlkampf hat, aber auch das ist eher die Ausnahme. Am leichtesten schaffen es in die Parlamente Beamte, da deren gesetzlichen Regelungen mit Freistellungen noch am besten sind. Noch leichter natürlich obere Beamte, die ein entsprechendes Salär haben und so auch Geld zu Verfügung. Tatsächlich sehen so heute auch die Parlamente aus. Das ist egal von welcher Partei im Parlament sitzen überwiegend Rechtsanwälte, Beamte und Selbstständige andere Bevölkerungsschichten sind so gut wie gar nicht vertreten.

Der Staat kontrolliert sich selbst. Er wird nicht mehr vom Bürger kontrolliert. Die Mehrheit der obigen drei Berufsgruppen ist immer gegeben. Diese haben teilweise kein Verständnis mehr zum Rest der Bevölkerung.

Wir leben in einer sozialen Dissonanz, die mit dem obigen nicht erschöpft ist, aber dieser Text gibt einen Eindruck davon, was ich darunter verstehe. Wenn wir das nicht schleunigst beseitigen, dann kommt irgendwas schlimmes auf uns zu. Ob das nun Revolution heißt oder was hitlermäßiges, das weiß ich natürlich nicht. Aber die Schere, die hier entsteht hat in der Vergangenheit immer zum Crash geführt. Vielleicht sind wir Menschen zu einer friedlichen sozialen Reform einfach nicht fähig und müssen immer mit Schmerzen lernen. Ich hoffe, dass ich mit meinen zweiundfünfzig Jahren, das nicht mehr erleben muss, befürchte aber, dass mich der Crash noch erwischt.