Vorwort
begonnen in der Straßenbahn am 07.05.98 in München
Jahrelang habe ich mich mit der Technik intensivst
auseinandergesetzt, um nun zu diesem Heft zu greifen. Der
Computer hat keinen Geist. Jede Schreibmaschine ist lebendiger
als die künstliche Lebendigkeit eines Rechenknechtes, der zwar
auch die Aufgaben einer Schreibmaschine erfüllen kann, aber der
durch seine Fehler und seine falsche Perfektion ablenkt.
Das Wesentliche zwischen den Menschen geht durch diese
Maschine verloren! Doch mag es weniger die Maschine sein, die
schuldig ist, sondern eher die Gläubigkeit der Menschen an
diese Maschine. Doch ist es nicht der Computer, der mich zu
diesem Buch hier greifen ließ. Es war die Idee ein Buch zu
schreiben über meine Philosophie. Schon nach diesen ersten
Zeilen, muß ich feststellen, daß es ein sehr schwieriges
Unterfangen zu sein scheint und ich nicht weiß, wo und wie ich
beginnen soll. Doch habe ich bereits begonnen. Da stehen schon
Worte wie "Wesentliche" und "Gläubigkeit".
Für meine Emotionalität und mangelnde Vernunft entschuldige
ich mich. Ebenso entschuldige ich mich für das Fehlen der
Struktur, die man sich davon erwarten könnte, und diese und
jene Unklarheit. Ich mag schwer zu verstehen sein, obwohl ich
durchaus verstanden werden will und mich nach bestem Wissen und
Gewissen bemühe, aber vielleicht ist meine Philosophie nicht zu
kommunizieren. Zwar glaube ich es nicht, sonst würde ich nicht
zum Stift greifen, doch umso komplexer unser Wissen über die
Welt geworden ist, desto schwieriger mag es für den einzelnen
Menschen sein, sein Verständnis von der Welt zu vermitteln. Von
Pauschalurteilen wie "Der Dümmste kann Fragen stellen, die der
Weiseste der Weisen nicht beantworten kann" einmal abgesehen,
mögen meine Einsichten vielleicht dümmer sein als die Fragen.
Doch möglicherweise geben die Fragen mehr Antworten als die
Antworten selbst. Ich halte hier fest, daß bei allen Sammeln
von Daten und Fakten, das Bemühen um Verstehen und Verständnis
in der heutigen Zeit zu kurz kommt. Meine Philosophie benenne
ich so, weil sie in der persönlichen Erfahrung begründet ist.
Sie stammt aus meiner Erfahrung und die ist zwangsläufig
einseitig, begrenzt und beschränkt. Es ist dieser persönliche
Bezug im Gegensatz zur tradierten wissenschaftlichen Methode,
der dieses Geschriebene angreifbar macht. "Meine Philosophie"
erhebt aber auch keinen Anspruch. Sie versucht nur ein Baustein
zu sein, eine Ergänzung, zu dem was alles schon geschrieben
worden ist.
Viele Menschen vor mir legten solche Bausteine in die Welt und
ohne diese Menschen wäre mein Baustein gar nicht denkbar.
Sokrates, der sich als Geburtshelfer bezeichnete und von dem
wir nur durch seinen Schüler wissen, Jesus, der als Mensch auch
das Denken der Nichtchristen mehr geprägt haben mag als
irgendein Philosoph, beeindruckten mich. Ich habe mich durch
die Quastigkeit von der Kritik der reinen Vernunft gekämpft.
Ich las von der Sozialkritik eines Karl Marx und beschäftigte
mich wenig mit Ludwig Wittgenstein als Ingenieur der
Sprachwissenschaften.
Aber abgesehen von den berühmten Namen, die mir von den
Bildungseinrichtungen nahegebracht wurden, steht mein Denken
auch auf den Schultern anderer Menschen wie Dr. Bodo Weidemann
oder Hans-Christian Eller. Ich danke meiner wundervollen Frau,
die ich als Lebenspartnerin nicht missen will.
Wesen und Schein , Wahrheit und Sein
"Besen, Besen sei’s gewesen", sagte der Meister im
Zauberlehrling. Der Meister beherrschte das Wesen des Besen.
Heutzutage scheint kein Meister weit und breit. Warum?
Wahrscheinlich weil der schöne Schein wichtiger geworden ist
als das wahre Sein.
Das Wesen eines Produktes zum Beispiel, welches verkauft wird,
ist weniger entscheidend als der Schein des Produktes. Wie wäre
es sonst zu erklären, daß ein vielbeworbenes Markenprodukt sich
zu wesentlich höheren Preisen verkaufen läßt als ein in der
Zusammensetzung identisches Produkt ohne Markennamen.
Oder ich betrachte mir nur die Einladung zu einer
Diskussionsveranstaltung: Fünf Politiker diskutieren auf einem
Podium für das Fernsehen und die Zuschauer applaudieren zu den
abgegebenen Statements. Das Publikum dient nur einem
dekorativem Zweck. Das Wesen einer Diskussion ist dabei gar
nicht gefragt. Wichtig ist der Schein der Diskussion.
Genausogut kann als Beispiel die schöne neue Fernsehwelt dienen
Die Schauspieler, die den angeblichen Alltag verkörpern, sind
sorgsam vorsortiert und selbst eine Großmutter sieht aus wie
eine 30-jährige. Die Darsteller und das Set entspricht dem
Wunschdenken der Konsumenten, an der Wirklichkeit besteht
eigentlich kein Interesse. Selbst die Inhalte von Talkshows
werden sorgsam geplant und die Rede und Gegenrede ist
abgesprochen. Der dummen Masse wird Spontanität und freie
Meinung suggeriert. Der Schein steht vor dem Sein. Selbst in
den Nachrichten wird genau auf die Präsentation geachtet und
der Schnitt soll entsprechend unterhalten, auch in der Zeitung
wird durchaus mit Fakten geschustert, obwohl die Information
wenigstens umfangreicher sind. Die Intelligenz der Gesellschaft
wird vom Verstehen und vom Verständnis abgelenkt. Die heutigen
technischen Möglichkeit bombardieren die Intelligenz mit Daten
im Überfluß. Wieviel von dem Überfluß verstanden worden ist,
wird dabei nicht einmal gefragt.
Sagt der Politiker die komplexe ihm bekannte Wahrheit wird er
nicht gewählt. Spielt er mit Allgemeinplätzen, die jeder
versteht und liefert eine gute Show, sieht die Chance bei gutem
Aussehen und dem entsprechendem Image (Abziehbild der
Wirklichkeit?) viel besser aus gewählt zu werden.
Wir sprechen von einer neuen Dienstleistungsgesellschaft und
verlangen von dem dienstleistenden Personal Freundlichkeit.
Weil wir aber das Wesen der Freundlichkeit gar nicht mehr
kennen, erziehen wir die Arbeitnehmer zu Floskeln.
Auch ich behaupte, es wäre nur Schein und nicht Wesen, was
unsere Gesellschaft bestimmt. Aus welcher Wahrheit heraus
könnte sich das behaupten lassen. Was ist Sein im Gegensatz zum
Schein?
Ich nehme aus meinen Beispielen die Freundlichkeit. Was soll
der Unterschied sein zwischen einer Freundlichkeit, die vom
Verhalten bis zur Intonation mit vorgebenen Worten einstudiert
ist, und einer Freundlichkeit, die von der erstgenannten
möglicherweise nicht zu unterscheiden ist? Nehmen wir an
objektiv messbar sei kein Unterschied gegeben. Wenn ich mir das
Wesen der Freundlichkeit betrachte, dann ist beim Eingeübten,
dieses Wesen nicht vorhanden. Der dressierte Arbeitnehmer mag
seinem Kunden gegenüber sogar Haß empfinden, was nicht für
Freundlichkeit spricht. Der Kunde hat aber möglicherweise ein
diffuses Gefühl. Gefragt, ob sich ein solch trainierter Service
verbessert hätte, würde ein Kunde dies sicherlich bestätigen,
weil der Service objektiv im Sinne einer messbaren Objektivität
freundlicher geworden ist, wenn der Kunde es in unserer Kultur
überhaupt noch empfindet. Was den Kunden stört, mag er selbst
gar nicht benennen können, und selbst wenn er "scheinbar
freundlicher" sagen würde, dann wird das Wort scheinbar
sicherlich überhört werden oder er würde eventuell darauf
festgelegt, sich zu entscheiden, ob der Service nun
freundlicher geworden ist oder nicht. Manager müssen Ergebnisse
präsentieren und es liegt in der Psychologie der Sache, daß ein
scheinbar nicht akzeptiert werden kann. Das Ziel ist mehr
Freundlichkeit und das wurde scheinbar erreicht. Wenn es
scheinbar so ist, warum sollte es dann nicht so sein? Ich hebe
jetzt einfach einen 50 Tonnen schweren Steinblock hoch. Da
liegt hier ein 50000 Kilogramm schwerer Stein und ich hebe ihn
hoch. Anscheinend hat er 50 Tonnen, doch wenn ich ihn hoch
heben kann, dann kann er, wenn er auf dem Planeten Erde ist,
wohl doch keine 50 Tonnen haben oder ich bin ein kleines
Weltwunder. Da ich aber kein Weltwunder bin, scheine ich zu
lügen. Wenn ich für diese scheinbare Leistung noch
Eintrittsgeld nehmen würde, möchte ich nicht wissen, wie
schnell der Staatsanwalt hinter mir her wäre, der mir durch
Messungen beweisen würde, daß ich betrüge. Doch in meinem
Beispiel von der Freundlichkeit könnte ich mir sicher sein, daß
kein Staatsanwalt kommt. Aber ist es deswegen weniger Betrug?
Die Gesellschaft (Was auch immer das sein mag?) hat sich daran
gewöhnt, bei dem nicht Meßbaren betrogen zu werden. Der Glaube
alles messen zu können, ist sicherlich auch eine Schuld der
Betriebswirtschaft, deren Wissenschaftler wie der
Nobelpreisträger Gary S. Becker einen Menschen konstruieren wie
den Homo Oeconmicus, den es gar nicht gibt. Die Autoren von
Neumann und Morgenstern reden in "Spieltheorie und
wirtschaftliches Verhalten" davon "Wenn wir messen
könnten...dann...". Am Ende kommen sie wohl zu dem Schluße, daß
wir eben nicht messen können. Das war bereits 1967. 1988 will
ein Becker selbst den Selbstmord in mathematisches Verhalten
pressen. Hans-Christian Eller kommt in "Anomalien? -
Darstellung und Kritik eines entscheidungstheoretischen
Konzepts" 19931 zu dem Schluß "Was nützen
entscheidungstheoretische Konzepte, die einzig ihre
unwirklichen Fiktionen für richtig halten?". Das ist zwar keine
Ansicht eines Nobelpreisträgers, aber für meine Begriffe
zerlegt hier ein Diplomant der Regensburger Universität einen
Nobelpreisträger in seine Bestandteile.
Alles in Zahlen und vergleichbaren Daten ausdrücken zu wollen
ist sicherlich dem Erfolg der Naturwissenschaften zu verdanken.
Die mathematischen Theorien der Physik, wie zunächst die
Newton’sche und später die Relativitätstheorie und
Quantenmechanik, ermöglichten präzise Vorhersagen über
Ereignisse und Phänomene. Dr. Horst Jürgen Helle schreibt im
Zusammenhang mit Saint-Simon: 2"Im Gefolge dieses
Bekenntnisses" Saint-Simons als Newtonianer "taucht der
Gedanke" um 1803 "einer newtonischen Religion mit einem
Wissenschaftler als Papst auf." Heutzutage würden wir es
wahrscheinlich eher als Katastrophe empfinden, wenn ein
Baumeister ein Gebäude nach Gefühl und Erfahrung anstatt nach
der Statik errichten würde. Tatsächlich steht auch ein Teil
unserer Gesellschaft auf dieser Grundlage. Im Mittelalter war
es genau umgekehrt. Selbst wenn wir in unserm Hochmut über
vergangene Jahrhunderte über die Eigenart schmunzeln keine
rechten Winkel in Wohngebäuden zu verwenden, weil darin der
Teufel wohnen könnte, stehen wir doch auf der anderen Seite mit
unseren heutigen Gebäuden nicht besser da. Der Schein einer
guten Architektur einer Neubausiedlung auf dem Reißbrett
bedingt die Entscheidung zu einem Wohngebiet, welches vom
Flugzeug aus betrachtet immer noch schön aussieht, aber deren
Häßlichkeit innerhalb des Wohngebietes manchmal nicht zu
übertreffen ist. Naturwissenschaftlich erscheint die Siedlung
bei ihrer Planung vollkommen in Ordnung, nach deren Bau plagen
soziale und kriminelle Probleme. Sollte im rechten Winkel etwa
doch der Teufel sitzen? Ich würde es weder auf den rechten
Winkel einengen noch es so drastisch formulieren, aber dem
Wesenskern folgend gibt es Bauweisen ohne dem notwendigen
Gefühl in dem das Schlechte sitzt.
Emotionen werden als unwissenschaftlich verdammt selbst dort
wo sie Untersuchungsgegenstand sind. Allerdings läßt sich das
Gefühl nicht verbannen. Manche Erfindung verdankt ihre Existenz
dem Gefühl. Es ist das Sein des Erfinders der dem Wesen der
Materie nachspürt. Wie sehr uns das Gefühl beeinflußt mag der
Tunneleffekt in Zusammenhang mit Überlichtgeschwindigkeit
zeigen. Dieser Effekt wäre sicherlich viel früher entdeckt
worden, wäre die wissenschaftliche Welt nicht fest davon
ausgegangen, daß es Überlichtgeschwindigkeit nicht geben kann.
Der Kreiskolbenmotor von Wankel ist ein anderes Beispiel für
den Zusammenhang zwischen den Überzeugungen und dem tatsächlich
Möglichen. Menschliche Katastrophen wiederum können eine
Technik um Jahre zurückwerfen w.z.B den Zeppelin nach dem
Unfall von Lakehurst.
Der Schein braucht das Gefühl um einen Betrug aufrecht
erhalten zu können. Ein Mensch, der das Gefühl für den Aufbau
eines schönen Scheins für seine Zwecke hervorragend
mißbrauchte, war Adolf Hitler. Menschen, die damals dem Sein
verbunden waren, wie zum Beispiel Dietrich Bonhoeffer,
mißtrauten zurecht den Nazis.
Das Sein braucht das Gefühl nicht, denn es ist bereits mit dem
Gefühl verbunden. Wenn ein Mensch nicht nur existent ist,
sondern tatsächlich ist, dann ist dieses Sein3 zwangsläufig mit
Gefühl verbunden.4 Der Schein braucht das Gefühl um eben
dieses Sein vorzutäuschen.
Der Schein ist in seinem Wesen ein Gegensatz zum Sein. Der
Schein ist eine Lüge. Das Sein ist eine Wirklichkeit. Trotz
dieser Gegensätzlichkeit in ihrem zugrunde liegendem Wesen ist
ihr Wesen oberflächlich betrachtet scheinbar ident. Wäre dies
nicht der Fall würde dem Schein der Betrug auch nicht gelingen
und einen so schamlosen Sieg über die Wahrheit davontragen.
Vielleicht kann ich Sein und Schein nur dann unterscheiden,
wenn ich mir vor Augen halte, daß die Wahrheit meistens
schlichter auftaucht. Es ist eine Entscheidung zwischen wahrem
Sein und trügerischem Schein zu fällen, wenn ich Wahrheit und
Wesen erkennen will.
Die Freundlichkeit und ihr Wesen, die Diskussion und ihr Wesen,
die Unterhaltung und ihr Wesen, die Politik und ihr Wesen, die
Gesellschaft und ihr Wesen, das Verstehen und ihr Wesen und so
fort sind, wohingegen ihr alleiniges Aufscheinen noch kein
Beweis für ihre tatsächliche Existens ist. Nennen wir das
Aufscheinen ein Phänomen. Das Phänomen deutet nur auf die
Möglichkeit der Existenz eines Wesen der Freundlichkeit oder
Diskussion und so fort hin. Ob es denn vorhanden ist, hängt vom
Geist ab, der dahintersteht.
Geist und Erscheinung, Wirklichkeit und Erfahrung
Die menschliche Erfahrung wird geprägt durch die Wirklichkeit.
Der Geist wird geprägt durch die Erscheinung.
In meiner Erfahrung ist eine Prägung durch die Wirklichkeit
mich der Lächerlichkeit preis zu geben. Während ich diese Worte
schreibe werde ich gefragt, was ich schreibe. Die Vermutungen
reichen vom Roman bis zum Tagebuch. Wohlwissend, daß es nicht
verstanden wird, nenne ich meine Wahrheit. Die Reaktion ist
verhaltener Spott. In Zukunft werde ich damit leben müssen
spöttisch als Philosoph bezeichnet zu werden. Ich erscheine den
Mitmenschen in diesem Umfeld nicht als Philosoph. Eine andere
Erfahrung ist, daß ich mich im handschriftlichen Manuskript
gerade auf Seite dreizehn befinde. Die Wirklichkeit besagt
nicht, daß das Aufgeschriebene deswegen schlechter sein muß,
aber eine Art selbsterfüllende Prophezeiung, könnte genau diese
Seite schlechter gemacht haben. Selbst wenn es genügend
Menschen gibt, de damit besser umgehen können, bleibt mir doch
in meinem Denken eine Skepsis. Nun wird meine Wirklichkeit
geprägt durch die Erfahrung. Wie eng die menschliche
Wirklichkeit und die menschliche Erfahrung in Wechselwirkung
stehen, zeigt die Geschichte. Es wäre schön, wenn wir einen
schlechten vergessenen Kunstmaler in der österreichischen
Geschichte hätten statt den zweiten Weltkrieg und den
Holocaust. Wie groß der Unterschied zwischen Geist und
Erscheinung ist verdeutlicht diese Geschichte leider zu gut.
Die anfängliche Erscheinung Hitlers als Retter Deutschlands
steht im krassen Gegensatz zu dem tatsächlichen Geist Hitlers
und seiner NSDAP zum Vernichter und Massenmörder. 1936 mag für
viele Deutsche das Phänomen Hitler als Retter vorhanden gewesen
sein, aber das Wesen eines Retters war nicht da. Für die
Wirklichkeit ist letztendlich der Geist, der sich dahinter
verbirgt, entscheidender als das Phänomen.
Mir schmeckt nicht, daß ich diesen Gedanken ausgerechnet an dem
Beispiel Hitler unterbreitet habe. Ich versuche deshalb noch
ein anderes Beispiel. Eine Verfassung eines Staates erscheint
in ihren Worten. Anhand der beiden deutschen Staaten und ihres
Konkurrenzkampfes und ihrer speziellen Beziehung zueinander,
mag es manchen überraschen, daß die Verfassungen der DDR und
der BRD so unterschiedlich in ihren Worten gar nicht waren. Der
wesentliche Unterschied beider Verfassungen ist in dem Geist zu
suchen. Dieser Geist läßt sich auch heute noch benennen.
Nachdem in der sowjetischen Besatzungszone die Parteien
gleichgeschaltet waren, wurde am 6.12.1947 der 1. Deutsche
Volkskongreß und am 18.03.1948 der 2. Volkskongreß aus
Delegierten der Parteien gebildet. Dieser ernannte den
Deutschen Volksrat und entwarf eine Verfassung. Der
Volkskongreß nahm am 30.05.1949 den Entwurf einer Verfassung
an, die am 7.10.1949 in Kraft trat und somit zur Deutschen
Demokratischen Republik führte. In dem von den Westmächten
beherrschten Gebiet beschlossen diese unter Beteiligung der
Beneluxstaaten und gegen den Widerstand der Sowjetunion im
Frühjahr 1948 ein staatsrechtliches Provisorium für West-
Deutschland zu schaffen. Am 1.07.1948 wurden wurden die
Ministerpräsidenten der 11 Länder beauftragt, eine
Verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die eine Verfassung
mit föderativer Regierungsform ausarbeiten sollte. Auf der
Bodenseekonferenz entwarfen Sachverständige den Herrenchiemseer
Entwurf. Die 11 Landtage wählten auf Grund des gemeinsamen
Wahlgesetzes vom 26.07.1948 den Parlamentarischen Rat. Er trat
am 1.09.1948 in Bonn als vorläufiger Hauptstadt zusammen. Nach
wiederholtem Eingreifen der Militärbefehlshaber nahm der
Parlamentarische Rat am 08.05.1949 das Grundgesetz für die
Bundesrepublik Deutschland an. Es trat am 24.05.1949 in Kraft,
nachdem die Militärbefehlshaber der Westmächte am 12.05.1949
ihre Zustimmung unter Vorbehalt erklärt hatten.5 Der Geist der
einen Verfassung ist beseelt durch den Volksrat der späteren
Deutschen Demokratischen Republik und der Schein betont Volk
und Demokratie. Der Geist der anderen Verfassung ist beseelt
durch die Bodenseekonferenz, der Diskussion mit den
Westmächten, Debatten unter den Ländern und dem Endpunkt die
Verfassung nicht als Verfassung sondern als Grundgesetz zu
beschließen. Im Staatsnamen und im Parlamentarischen Rat taucht
weder das Wort Demokratie noch in der Versammlung das Wort Volk
auf.
Die Verfassungen treten in der Wirklichkeit mit den Worten in
Erscheinung. Ihr Geist zeigt sich in der geschichtlichen
Erfahrung.
Wie wichtig der dahinterstehende Geist ist, verdeutlicht das
Grundgesetz der BRD auch in einer anderen Hinsicht in der
heutigen Zeit. Es wird in der Gesellschaft viel über die Rechte
der Bürger gesprochen. Es ist viel von Selbstverwirklichung und
von Individualität die Rede. Es wird stark die Pflicht des
Staates betont. Der Staat soll nach der weitverbreitenden
Ansicht für die Verwirklichung dieser Rechte sorgen. Der Staat
wird in die Pflicht genommen mit der Sozialhilfe den schwachen
Bürgern zu helfen. Der Bürger hat das Recht auf seiner Seite.
Es scheint in diesem Grundgesetz nur wenige Pflichten für den
Bürger wie zum Beispiel die Wehrpflicht zu geben. In den Worten
des Grundgesetzes erscheinen ein Recht oder die Rechte aber
nicht die Pflichten. Doch daraus zu schließen, daß im Geiste
des am Bodensee verfaßten Grundgesetzes keine Pflichten
vorhanden wären, halte ich für falsch. Es geht schon damit los,
daß die Ministerpräsidenten in die Pflicht genommen wurden eine
Verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Die Menschen, die
sicch an die Arbeit gemacht haben, eine Verfassung für
Deutschland nach dieser Vergangenheit zu schreiben, gingen mit
den Worten sehr vorsichtig um. Die Nazis hatten alles und jedes
in die Pflicht genommen. Die Mutter hatte die Pflicht
anständige Deutsche zu gebären und zu erziehen. Der Vater hatte
Pflicht für den Führer in den Krieg zu ziehen. "Es ist die
Pflicht eines jeden Deutschen" hieß es bei den Nazis überall.
Die Gründungsväter hatten nur zu gut die Verdrehung der Worte
im Sinn. Sei nur als Beispiel genannt, was am Reinigen so
verkehrt sein soll. Doch eine Aussage wie "Säuberung der
deutschen Rasse"! Worte sind für die Gründungsväter keine
einfache Sache gewesen. Diese Gründungsväter wurden aber in
einer Tradition erzogen, in denen ihnen Pflicht als etwas
Selbstverständliches erschien. Nichtmal 50 Jahre vorher gab es
noch die Kaisertreue und preußische Dienstpflichten. Sollten
diese Menschen die Pflicht des einzelnen im Staate für nicht
wichtig geachtet haben? Ich glaube nicht, sie dachten nur nicht
daran, daß der einzelne Bürger eines Tages nur noch auf seine
Rechte pochen würde und seine Pflichten vergessen würde. Für
diese Menschen war Pflicht etwas selbstverständliches, daß so
explizit doch nicht erwähnt werden müßte. Wenn ich mir die
heutige Entwicklung in der Gesellschaft anschaue, befürchte
ich, daß sie sich getäuscht haben. Mir wurde von einer Freundin
gesagt, daß die Staatsrechtler mit den Pflichten größte
Probleme hätten, da sie Pflichten im Grundgesetz nicht fänden.
Im Geist des Grundgesetzes sehe zumindest ich die Pflicht des
Bürgers vorhanden. In der Erscheinung der Worte mag da ein
Problem sein. Doch die Menschenrechte standen auch in der
Verfassung der DDR, doch hat sich der Geist der Verfassung der
DDR um die Menschenrechte wenig gekümmert. Die Erscheinung ist
nicht die Wahrheit. Ob die Wirklichkeit durch die Erscheinung
oder den Geist bestimmt wird, erfahren wir in der Wirklichkeit.
Ob hinter einem Phänomen ein wahrer Geist stand, lehrt uns die
Erfahrung leider manchmal zu spät. Doch sollten wir Menschen
nicht so dumm sein, daß wir aus unseren Erfahrung nicht lernen
und zwischen Sein oder Schein trennen können.
Unter Geist verstehe ich etwas Vorhandenes, wohingegen die
Erscheinung ein Phänomen ist, daß der Deutung bedarf und
möglicherweise das Gegenteil in Wirklichkeit und Erfahrung ist.
Obwohl in der Erscheinung des Grundgesetzes die Bürgerpflichten
unterrepräsentiert sind, können die Pflichten in Wirklichkeit
dem Geiste nach sehr wohl vorhanden sein. Obwohl Hitler als
Retter Deutschlands seinen damaligen Wählern erschienen sein
mag, ist er dennoch das genau Gegenteil gewesen.
Erfahrung kann uns lehren Geist und Erscheinung voneinander zu
trennen und dadurch die Wirklichkeit zu erkennen.
Die Wirklichkeit sagt mir, daß ich seit über einer Woche hier
keine Zeile mehr geschrieben habe. Ich habe mit diesem Text
immer wieder Schwierigkeiten und befürchte mangelnden Geist.
Das, was ich ausdrücken will, scheint immer noch nicht
greifbar. Meine Worte erscheinen als alt und längst bekannt.
Doch bemühe ich mich nach bestem Wissen und Gewissen das Neue
auszudrücken, dem Gedanken in die Wirklichkeit zu verhelfen.
Wirklichkeit, Wesen und Wahrheit
"Ist das wirklich wahr?" lautet eine Frage, die zumeist
gestellt wird, wenn der Wahrheitsgehalt einer Schilderung
bezweifelt wird. Wenn es dann heißen sollte: "Im Wesenskern
schon!" , so ist die Neigung zu verspüren, den Wahrheitsgehalt
zu bezweifeln.
Der Kommunikation untereinander haftet die Unvollständigkeit
an, daß die Wirklichkeit nicht voll erfaßt werden kann. Die
Einwendung, eine mathematische Formel eine genaue Beschreibung
geben kann, lasse ich nicht gelten, da ein Zahlengebilde,
selbst wenn es auf dem Computer dargestellt wird, nicht die
selbe Ästhetik oder Lebendigkeit besitzt wie zum Beispiel eine
Blume, ein Tisch oder ein Hund.
So mancher Zweifel an der Wirklichkeit einer Blume, eines
Tisches oder Hundes ist unberechtigt. Der Zweifel ist erwachsen
aus den unvollständigen Beschreibungen. Die Wirklichkeit ist
dennoch vorhanden. Sie ist auch dann vorhanden, wenn der Mensch
sie nicht beschreibt. Wenn Rene Descartes im 17. Jahrhundert
sein Denken auf "Cogito ergo sum"6 begründet, so irrt er.78 Die
Wirklichkeit bedarf der Aussage nicht. Selbst wenn er die
Wirklichkeit nicht erkennt, wird er sein. Für den Menschen
macht es zwar einen erheblichen Unterschied, ob er erkennt oder
nicht, aber sein "ich bin" kann unabhängig davon sein.
Zum Beispiel wenn ich Ausländer bin, bin ich das unabhängig von
einem Beweis. Solange ich mit Denken versuche zu erkennen, ob
ich Ausländer bin oder nicht, werde ich sogar große
Schwierigkeiten haben, dieses festzustellen. Wenn ich zu dem
Schluß komme, da ich für mein Ausländersein keinen Beweis
finden werde, daß ich kein Ausländer bin und nach diesem
Entschluß zur Bundestagswahl gehe, wird mir dann dort bewiesen
werden, daß ich Ausländer bin. Ich würde nicht wählen dürfen.
Die Wirklichkeit des Ausländerseins war aber schon vorher
vorhanden, unabhängig davon ob ich sie nun erkannt habe oder
nicht. Da ich schon an einer Bundestagswahl teilgenommen habe,
scheine ich kein Ausländer zu sein.
So ist eine Existenz auch unabhängig von seiner Beweisbarkeit
gegeben. Die Wirklichkeit ist vorhanden.
Schrödingers Katze9 gefällt mir, weil ich Paradoxen liebe, doch
hat das Experiment mit der vorstellbaren Wirklichkeit ein
Problem. Weil es nicht beweisbar ist, ob die Katze tot oder
lebendig ist, es sei denn ich blicke in die geschlossene
Versuchsanordnung, spricht man von der tot-lebendigen Katze.
Mit der Schrödingerkatze geht man soweit, zu sagen der
Experimentator bestimmt durch sein Eingreifen den Ausgang des
Experiments.
Er beeinfluße dahin das Experiment die Katze sei tot oder
lebendig. Der Effekt der Teilchenbeobachtung scheint
tatsächlich diese Annahme zu bestätigen. Der Mensch, der den
Versuch durchführt, mag für den Ausgang des Versuch
mitverantwortlich sein, aber heißt es noch nicht, daß die
tatsächliche Wirklichkeit dem festgestellten Ergebniss wirklich
entspricht.10
Die Entdeckung des Penicilins wäre nicht erfolgt, wenn der
Entdecker nicht die Wirklichkeit berücksichtigt hätte.
Entscheidend ist nicht die Wirklichkeit an sich gewesen, sonder
der Umgang mit der tatsächlich vorhanden Wirklichkeit und die
ärgerliche Verunreinigung als Heilmittel zu erkennen. Es ist
die Erkenntnis über die vorhandene Wirklichkeit, die dann die
menschliche Wirklichkeit verändert.
Das Sein dieser Wirklichkeit ist unabhängig von dieser
Erkenntnis vorhanden. Die Wirklichkeit an sich ist eben nicht
statisch sondern dynamisch und das unabhängig vom Wirken des
Menschen. Durch das Aussterben der Saurier mag der Platz für
die Säugetiere geschaffen worden sein, der den Menschen
schließlich ermöglichte, doch ändert sich diese Wirklichkeit
nicht dadurch, daß der Mensch sie erkennt.
So sehr es auch notwendig war sich von der scholastischen
Tradition abzuwenden und ein rein-analytisches Denken zu
begründen, um im Erkenntnisprozeß fortschreiten zu können, so
sehr ist es aber heute notwendig aus diesem rein-analytischen
Denken keinen Gott zu machen, der alles erklären könnte. So
mancher Ingenieur, der eine Brücke oder Maschine berechnet,
weiß doch gar nicht, daß das Gebäude der Mathematik auf
Grundannahmen steht, welche nichts anderes als Glaubenssätze
sind. Bei manchem Ingenieur wird aufgrund seiner Erfahrung mit
seiner Wirklichkeit diese Mathematik zur Wirklichkeit.
In heutiger Zeit regt man sich gerne über die Inquisition im
Mittelalter auf, ohne dabei zu Bedenken wie wir eine ähnliche
Inquisition aufbauen. Es ist zwar noch nicht soweit, daß wir
Hexenverbrennungen auf dem Altar der Wissenschaftlichkeit
durchführen, obwohl ich mir da gar nicht sicher bin. Wenn
jemand in den USA oder sonstwo aufgrund von Indizienbeweisen
zum Tode verurteilt wird und schließlich hingerichtet wird,
dann kann man auch von einer Opferung auf dem Altar der rein-
analytischen Beweise reden.
Manche mathematischen begründeten Beweise sind so intelligent
wie "Man kann nicht fliegen, weil man nicht fliegen kann."
Zahlen, Daten und Fakten prägen die heutige menschliche
Wirklichkeit manchmal mehr als die Wirklichkeit selbst.
Der Gewinn eines Unternehmen in der Volkswirtschaft bzw.
Betriebswirtschaft ist eine solche magische Zahl. Rationale
oder vernünftige Argumente zählen weniger als die mit nackten
Zahlen begründete Notwendigkeit. Der einzelne Gewinn steht über
dem ethischen Gewinn, wenn er denn nur groß genug ist. Der
gemeinschaftliche Verlust in der Wirklichkeit spielt keine
Rolle, wenn der Verlust in Zahlen nicht meßbar ist.
Die Erkenntnis von Wirklichkeit ist dann gering, wenn wir uns
durch Zahlen, Daten und Fakten blenden lassen.
Was ist Wirklichkeit? Die Daten, Fakten und Zahlen sind nicht
die Wirklichkeit. Die bekannten Daten, Fakten und Zahlen sind
nur eine mögliche Beschreibung der bekannten Wirklichkeit. Die
Wirklichkeit ist vorhanden Die Mathematik kann sie nur
eventuell nicht beschreiben.
Ein solches Beschreibungsproblem mag die Zahl (pi) sein. Ich
stelle gerade fest, als ich meine Handschrift in das digitale
Schriftgut übersetze, daß es ein Beschreibungsproblem auch in
anderer Hinsicht ist. ist in der Textverarbeitung, die ich
benutze leichter zu schreiben, als die Zahl Pi, die ich meine.
Die Zahl Pi ist gar nicht so irrational, wie sie sich auf den
ersten Blick darstellt. Doch ist sie in unserem System der
Mathematik irrational. Der Mensch versucht nur mit dem
Kreisdurchmesser den Umfang zu beschreiben oder mit dem
Kreisumfang den Durchmesser. Die Mathematik schafft es nicht
für beides gleichzeitig im ganzzahligen
System Werte anzugeben, die uns behagen. Die Frage wäre ob es
in der Wirklichkeit einen Kreis geben kann, dessen Umfang und
dessen Durchmesser in einem Maß gemessen werden, deren Ergebnis
zueinander ganzzahlig sind?
Vorschnell könnte man sagen, daß einen solchen Kreis in der
Wirklichkeit nicht gibt, aber stimmt das auch?
Obwohl ich nicht viel davon verstehe, betrachte ich mir
hypothetisch einen Kreis im Raum, der zufällig an den
Durchmesserenden ein Wurmloch Ein- bzw. Ausgang hat. Wie ist es
mit dem Durchmesser eines solchen Kreises? Es ist wie mit dem
wie mit dem Dreieck dessen Winkelsumme über 180 Grad beträgt.
Ein flächenorientierter schulgebildeter Menschen widerspricht,
der Aussage, daß ein Dreieck eine Winkelsumme über 180 Grad
haben könnte. Ein entsprechend auf der Erdkugel dimensioniertes
Dreieck hat aber eine Winkelsumme über 180 Grad.
Es ist nicht die Wirklichkeit, die solchen Aussagen
widerspricht, es ist meist der Mensch mit seinem mangelndem
Vorstellungsvermögen oder Verständnis.
Es scheint mir manchmal mehr der Widerspruch des Menschen gegen
die Wirklichkeit, der es mancher Idee so schwer macht, in der
menschlichen Wirklichkeit Fuß zu fassen.
Eine erste Reaktion auf diesen Text außerhalb meines direkten
persönlichen Umfeldes war: "Warum Warheit und nicht
Wahrheiten?" Die Wirklichkeit wider spricht einer Wahrheit
nicht und es nicht meine Wahrheit und nicht die allgemeinen
Wahrheiten, die ich hier zum Ausdruck bringen will, doch mag
der Mensch den Gedanken einer Wahrheit nicht. Erstens aus
verständlichen Gründen, weil eine alleinselig machende Wahrheit
zu gern von anderen Menschen mißbraucht wird und somit jeder
der von nur einer Wahrheit redet sowieso skeptisch betrachtet
werden muß, und zweitens, weil gerne die eigene persönliche
Wahrheit und Meinung mit der Wahrheit verwechselt wird. Die
Meinung des einzelnen Menschen kann dabei durchaus wahr sein im
Sinne der allgemein gelehrten Wahrheitslogik, doch ist der
Umkehrschluß es gäbe keine Wahrheit für meine Begriffe falsch.
Die einzelnen Lehrsätze zur Feststellbarkeit der Wahrheit,
klammern sich schließlich an diesen Streit der Meinungen, ohne
sich mit dem Wesenskern der Wahrheit zu beschäftigen. Diese
Sophistik mag einer von vielen Gründen für den Niedergang der
Philosophie als Wissenschaft sein. Das sich keiner mehr an die
Philosophie wendet, wenn sie nur noch komplexe
Schildkrötenantworten11, abgibt ist verständlich.
Die Mathematik und die ihnen angegliederten Naturwissenschaften
funktionieren hervorragend, weil die Mathematik Grundsätze
postuliert. So beträgt auf einer Fläche die Winkelsumme eines
Dreiecks eben tatsächlich 180 Grad. Die Mathematik behauptet
nicht, es könnte kein Dreieck mit einer Winkelsumme über 180
Grad geben, nur so mancher Schullehrer mag die Fläche für nicht
erwähnenswert halten, weil das die Sache nur komplexer macht
und so manchem Lernziel entgegensteht. Die Mathematik ist eine
sehr pragmatische Wissenschaft und steht auf solidem Grund,
wenn man nicht zu tief schürft, den dann stößt man auf
philosophische Probleme, doch die betrachtet man in der
Mathematik auch nicht als Gegenstand. Das mit der Winkelsumme
mag nur als Beispiel dienen und jeder Mathematiker mag es auch
als lächerlich empfinden, da er sich dieses Problem der
Definition genau bewußt ist, der Physiker kennt die Bedingungen
der Wirklichkeit besser und paßt im Zweifelsfall die Mathematik
der Wirklichkeit an. Mit an gewissen Bedingungen geknüpften
Wahrheiten zu arbeiten, ist mit verblüffenden Erfolgen
gesegnet. Die Geisteswissenschaften stehen dem hilflos
gegenüber. Jedes Postulat wird im Streit der Meinungen
verwässert und selbst wenn man denn schließlich ein Postulat
aufstellt, ist es meistens falsch. Die pragmatische
Betriebswissenschaft mag gerade deswegen so gerne Formeln und
Berechnungen, weil sie damit wenigstens irgendwas an der Hand
hat. Selbst wenn dann schließlich der Selbstmord mathematisch
rational begründet wird und dafür irgendjemand den Nobelpreis
bekommt, dann ist es dennoch ein Blödsinn. Doch selbst wenn es
offensichtlicher Blödsinn ist, zerbrechen sich intelligente
Menschen darüber den Kopf. Traurig daran ist nur, daß diese
Intelligenz vergeudet wird. Ein schönes Argument ist manchmal,
wenn ein so intelligenter Mann das sagt, dann wird es schon
stimmen. Nach dieser Logik ist die Hexenverbrennung richtig und
gut - wäää. Mag auch das ein Problem der Geisteswissenschaften
sein, daß das Eingeständnis, das alles falsch ist, nicht
möglich ist, weil man damit die Lebensleistung eines Menschen
über den Haufen werfen müßte. Die Wirklichkeit ist
hartnäckiger. Etwas Falsches wird dadurch nicht Richtiger. Die
Behauptung kein Fluggerät bauen zu können, wird nicht wahr
dadurch, daß es noch keiner geschafft hat. Börsenanalysen
werden nicht gut, weil sie auf der Basis von komplexen Formeln
stehen. Ein Guru mit dem richtigen Handwerkszeug kann in der
heutigen Zeit noch genauso leicht Geld verdienen, wie Casanova
mit magischen Künsten zu seiner Zeit. Wenn er Glück hat fliegt
er nicht einmal als Betrüger auf. Die Wirklichkeit stellt sich
mit ihrem Wesen gegen diese Leichtfertigkeit des Betruges.
Unerbittlich bleibt sie trotz unserem Fortschritts einfach
vorhanden. Außerhalb der erkannten Wirklichkeit ist eine
vorhandene Wirklichkeit, die sich nicht so einfach in Formeln
pressen läßt. Die darin enthaltene Wahrheit ist vorhanden und
läßt sich auch erkennen, denn wir haben schon bewiesen, daß wir
ein Fluggerät bauen können. Vor tausend Jahren mag jemand, der
sagte man könne ein Fluggerät bauen, als Spinner gelten, doch
er hatte recht. Wenn heute jemand Gefühle, Emotionen und
Geisteshaltungen und Magie in die Waagschale wirft, dann ist er
sicherlich als Spinner klassifiziert. Sicherlich ist er es auch
deswegen, weil eine Sortierung zwischen fundiert und
unfundiert, gar nicht mehr richtig stattfindet und auf einen
mit einer Aussage wie das Fluggerät, tausend kommen die
irgendwelchen Blödsinn erzählen. Wir haben durch die
Abschaffung der Anerkennung der Philosophie als ernsthafte
Wissenschaft ein Problem, dessen wir uns gar nicht bewußt sind.
Wir wissen gar nicht wie wichtig, die Suche nach der Wahrheit
ist. Ein wenig mag das mit den Staatsrechtler vergleichbar
sein, die keinen Anhalt für Pflichten im Grundgesetz finden,
der aber offensichtlich wohl vorhanden ist. Je mehr ich mich
mit verschieden Wissenschaften auseinandersetze, desto mehr
stelle ich fest, wie wenig in der Spitze noch vernünftig
gedacht wird. Jeder Spitzenprofessor in seinem Fach ist der
König, der in seinem Fachdenken weiterwurschtelt. Die
philosophischen Wissenschaftler sind da fast noch besser, als
ihre Fachkollegen. Die Wahrheit ist nur noch ein Gegenstand der
Sophistik eher findet man noch einen Theologen der auf der
Suche nach einer Definition nach Gott mit der Wahrheit mehr
auseinandersetzt als einen Philosophen. Der Physiker an den
Grenzen seines Weltbildes angelangt, schreit regelrecht nach
einer Philosophie, die ihm weiterhilft, und weil da draußen
keiner ist, wird er notgedrungen zum Hobbyphilosophen.
Wesen einer Wahrheit und Wirklichkeit
Soweit ich weiß, spricht man im wissenschaftlichen Bereich von
fünf Wahrheitstheorien. Keine der fünf Theorien sind in
irgendeiner Form befriedigend. Sie stellen bezüglich der
Wahrheit wenig fest und haben nicht die Klarheit wie "Eine
Linie besteht aus Punkten." . "Alle Erklärung muß fort, und nur
Beschreibung an ihre Stelle treten.", sagt Wittgenstein. Doch
ist das vielleicht nur ein Problem der Kommunikation unter uns
Menschen. Der Ausspruch "Soll ich das noch hundertmal erklären"
zeigt das Problem. Die Wirklichkeit des zu Erklärenden ist
vorhanden, die Wahrheit des Inhaltes, was erklärt werden muß,
ist dem Erklärenden auch bekannt, doch der Erklärende merkt,
daß der, dem Erklärende erklärt, es einfach nicht verstanden
hat. Wenn keiner auf der Welt Schnürsenkel zubinden kann, zu
behaupten, man könnte keine Schürsenkel zubinden, ist etwas
voreilig. Viel naheliegender ist der Schluß, daß noch keiner
der Menschheit erklärt hat, wie man Schnürsenkel zubindet. Wenn
ich einem Kind erkläre, wie es die Schuhe zubinden soll und
dies nur mit beschreibenden Worten tue und ihm niemals zeige,
dann brauche ich eine sehr gute Beschreibung und ein sehr
intelligentes Kind, wenn das was werden soll. Sicherlich hat
eine perfekte Beschreibung etwa handfestes und haltbares an
sich, doch langt sie in der Regel uns nicht aus. Wenn ich eine
technische Beschreibung über die Bedienung eines Gerätes lese,
dann geschieht es nicht selten, daß ich trotz guter
Beschreibung (die leider selten ist) etwas falsch mache. Mit
der Zeit gewinne ich Erfahrung mit dem Gerät und ich kann es
sogar bedienen und dann stelle ich fest, daß meine Frau
dieselbe Beschreibung kennt, und es trotzdem nicht bedienen
kann. Interessanterweise konnte sie es dann, als ich es ihr
erklärte, bedienen. War die Beschreibung deswegen schlecht? Die
Beschreibung war eine von vielen möglichen Beschreibungen und
ist für denjenigen, der sie nicht versteht eine nutzlose
Beschreibung. Eine Erklärung geht darüberhinaus und ist für das
Verstehen erforderlich.
Weil es seit Einstein mehrere Zeiten in unserer Wirklichkeit
gibt, brauchen wir wohl jetzt auch unendliche Wirklichkeiten
und Wahrheiten? Wozu? Warum? Vielleicht ist es zu hart für uns,
wenn es nur eine Wirklichkeit gibt, andererseits messen wir
unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse an dieser einen
Wirklichkeit. Einerseits ist diese eine Wirklichkeit unser
Argument, ob etwas wahr oder unwahr ist, andererseits scheinen
wir es als Argument bei der Wahrheit nicht gelten zu lassen.
Das Wesen einer Wahrheit resultiert aus dieser einen
Wirklichkeit.
_______________________________
1 Eller, Hans-Christian "Anomalien?-Darstellung und Kritik
eines entscheidungstheoretischen Konzepts" Diplomarbeit für
Diplom-Kaufleute an der Universität Regensburg vom 26.03.1993
2 Helle, Horst Jürgen "Einführung in die Soziologie"
2.überarbeitete und erweiterte Auflage München;Wien
R.Oldenbourg Verlag, 1997 ISBN 3-486-24173-7
3 In diesem Zusammenhang sei auf Erich Fromm und der von ihm
geschätzte Meister Eckehart verwiesen.
4 Fromm, Erich "Haben oder Sein"
5 dtv-Lexikon "dtv-Lexikon Ein Konversationslexikon in 20
Bänden" Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Oktober 1974
ISBN 3-423-03054-2
6 Descartes Rene Deutsche Gesamtausgabe von 1915 herausgegeben
von A.Buchenau
7 dtv-Lexikon "dtv-Lexikon Ein Konversationslexikon in 20
Bänden" Deutscher Taschenbuch Verlag, München, Oktober 1974
ISBN 3-423-03054-2
8 Nach Descartes ist der einzige Satz, der unbezweifelbar am
Anfang steht "Cogito ergo sum" (Ich denke (wörtlich ich
erkenne) also bin ich). Der methodische Zweifel Descartes dient
zur Befreiung von scholastischen Tradition und er erprobt damit
eine rein rational-analytische Denktechnik, die im Prinzip die
Grundlage aller heutigen Wissenschaften ist. Siehe 4
9 Erwin Schrödinger war Physiker und mit dem Beispiel der Katze
geht es um das Phänomen in der Wellentheorie, das ein
Lichtteilchen zum Beispiel gleichzeitig durch zwei Schlitze
geht.
10 Obwohl ich in der Wellentheorie dem Ergebnis nicht
widersprechen kann und auch nicht möchte, die Frage ist nur ob
wir wirklich fähig sind die Wirklichkeit richtig zu erkennen.
11 Ein alter Grieche trieb sein Mitmenschen damit zur Weißglut,
daß er mehr oder weniger bewies, daß der beste Läufer eine
Schildkröte nicht überholen könnte.