Wie ein Tech-Gigant die Energie für das KI-Zeitalter sichert – und was Deutschland daraus lernen kann
In der politischen Rhetorik Deutschlands ist „Technologieoffenheit“ zu einem ebenso omnipräsenten wie inhaltsleeren Begriff geworden. Er dient als Argument gegen zu schnelle Verbrenner-Ausstiege, als Begründung für Gaskraftwerke und als Mantra, um unpopuläre, aber notwendige Entscheidungen hinauszuzögern. Während diese Debatte in endlosen Talkrunden und Koalitionsausschüssen kreist, zeigt ein Silicon-Valley-Gigant im Stil eines klassischen Industriekapitäns, was radikale Technologieoffenheit in der Praxis bedeutet: Sie wird nicht debattiert, sondern für 4,75 Milliarden Dollar gekauft.
Alphabets Ankündigung, den Energie-Spezialisten Intersect Power zu erwerben, ist mehr als nur ein weiterer Großdeal im KI-Wettrennen. Es ist eine strategische Grundsatzentscheidung, die den Kern der nächsten industriellen Revolution trifft: Wer die Künstliche Intelligenz der 2030er Jahre beherrschen will, muss nicht nur die besten Algorithmen, sondern vor allem die Energieversorgung von morgen kontrollieren. Und diese, so die Kalkulation in Mountain View, ist unweigerlich grün, dezentral und direkt an die Rechenzentren gekoppelt.
Parallel dazu betreibt Google in Deutschland das, was man als „diplomatischen Kapitalismus“ bezeichnen könnte. Nur drei Wochen vor dem Intersect-Deal kündigte das Unternehmen in Berlin sein mit 5,5 Milliarden Euro bisher größtes Investitionspaket für Deutschland an. Der Deal umfasst neue Rechenzentren in Dietzenbach und Hanau, Büroexpansionen und – entscheidend – die Ausweitung einer Pionierpartnerschaft mit dem Energieunternehmen Engie, um bis 2030 rund um die Uhr CO₂-freien Strom (24/7 Carbon-Free Energy) für seine deutschen Standorte zu garantieren. Die Botschaft ist klar: Während die deutsche Politik noch über ideologische Pfade zur Klimaneutralität streitet, baut ein globaler Konzern hier faktisch die Infrastruktur dafür – und wird dafür von Ministern aller Couleur gelobt.
Der Paukenschlag aus Kalifornien: Warum Google Intersect kauft
Der Erwerb von Intersect ist kein Ausflug in grüne Philanthropie, sondern knallharte Ökonomie im Zeitalter des generativen KI-Booms. Ein einziges großes Sprachmodell kann Schätzungen zufolge so viel Strom verbrauchen wie zehntausende Haushalte. Vor diesem Hintergrund sind Googles jährliche Infrastrukturinvestitionen, die bis 2026 auf fast 93 Milliarden Dollar steigen sollen, keine Extravaganz, sondern eine Überlebensnotwendigkeit, um mit Amazon und Microsoft im Cloud-Rennen mithalten zu können.
Mit Intersect erwirbt Google nicht einfach nur Stromkapazitäten, sondern ein komplettes „Energie-Startup in a Box“: ein Team von 300 Spezialisten für Netzintegration, Energiehandel und Speichertechnologien, sowie ein Portfolio mit 2,4 Gigawatt laufender und 8 Gigawatt geplanter Projekte an strategischen Standorten wie Texas und Kalifornien. Das Ziel ist eine vollständig integrierte Wertschöpfungskette: vom Windrad und Solarpanel direkt zum Serverrack. Diese vertikale Integration macht Google unabhängig von den volatilen Preisen am Strommarkt – in den USA teilweise um 40% seit 2021 gestiegen – und beschleunigt den Zubau neuer Kapazitäten erheblich.
Die deutsche Debatte: Technologieoffenheit als „Nebelkerze“
Während Google agiert, debattiert Deutschland. Der hierzulande hochstilisierte Konflikt entpuppt sich bei näherer Betrachtung oft als Scheingefecht. So attackierte die Bundesregierung ein angeblich geplantes „Verbrenner-Aus“ der EU und forderte Technologieoffenheit – obwohl die EU-Richtlinie ausdrücklich Verbrenner mit CO₂-neutralen Kraftstoffen auch nach 2035 erlaubt. Ähnlich verhält es sich beim Heizungsgesetz, das längst technologieoffen formuliert ist und nur vorschreibt, dass 65% der Wärme aus erneuerbaren Quellen stammen müssen.
In der Praxis wird der Begriff jedoch systematisch instrumentalisiert, um den Status quo zu zementieren. Die Forderung nach „Technologieoffenheit“ mündet regelmäßig in der Subventionierung fossiler Gaskraftwerke, während alternative Lösungen wie Großbatterien, Lastmanagement oder Power-to-Heat-Anlagen nur eine Nebenrolle spielen dürfen. Die einstige Kernforderung der Union nach einem marktwirtschaftlichen Emissionshandel als zentralem Steuerungsinstrument wird dabei ebenso relativiert wie das kurze Comeback der Atomkraftdebatte, das mangels realistischer Perspektive schnell wieder verstummte.
Die deutsche Industrie beklagt diese Blockade selbst. Führende Vertreter warnen, Deutschland degradiere sich „zum Vorzeige-Bedenkenträger und Technikimporteur“. Die Fixierung auf bestimmte Technologiepfade und eine überbordende Bürokratie würden innovationsfreudige Talente ins Ausland treiben und verhindern, dass das Land sein Potenzial für nachhaltige Technologieführerschaft ausschöpfe.
Fazit: Offenheit für Realitäten, nicht für Rhetorik
Googles Strategie entlarvt die Ironie der deutschen Lage. Der Tech-Konzern praktiziert eine Form der Technologieoffenheit, die sich an physikalischen und ökonomischen Realitäten orientiert, nicht an politischen Narrativen. Es ist die Offenheit eines Ingenieurs, der das Problem „Versorgung eines exponentiell wachsenden Energieverbrauchers mit grünem Strom“ löst – durch Berechnung, Investition und Kontrolle der gesamten Kette.
Deutschland hingegen betreibt oft eine „Offenheit der leeren Mitte“, die darauf abzielt, alle Optionen im Diskurs am Leben zu erhalten, um keine Gruppe zu verprellen. Das führt zu einer politisch-ideologischen Überformung technischer Fragen, die notwendige Fokussierung und Beschleunigung verhindert. Während Google mit Intersect die Unabhängigkeit von fossilen Märkten erkauft, debattiert Deutschland über die Laufzeit von Technologien von gestern.
Die Lehre ist nicht, dass Deutschland Google werden muss. Sie ist, dass wahre Technologieoffenheit den Mut zur Fokussierung auf das Machbare und Skalierbare erfordert. Sie bedeutet, Billionen in Windparks, Solarfelder, Netze und Speicher zu lenken – nicht, weil es ideologisch geboten, sondern weil es für den Industriestandort unverzichtbar ist. Wer die Rechenleistung für die Zukunft mit der Energiepolitik der Vergangenheit betreiben will, hat, wie Google offenbar erkannt hat, das Spiel nicht nur klimapolitisch, sondern auch ökonomisch bereits verloren. Der nächste große deutsche „Zukunftspakt“ sollte weniger über Offenheit reden und mehr dem kalifornischen Beispiel folgen: die Zeche auf den Tisch legen und die Fabriken für die neue Zeit bauen.
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