Radikal im Bewahren — warum meine Haltung weder links noch rechts ist

Es gibt Begriffe, die heute kaum noch ausgesprochen werden können, ohne augenblicklich ein ganzes Gewitter an Assoziationen auszulösen. „Rechtsradikal“ ist einer davon. Er steht für Hass, Menschenverachtung, autoritäre Agitation, geschichtslosen Lärm. Und doch ertappte ich mich neulich dabei, diesen Begriff gedanklich umzudrehen – nicht als Etikett, das ich mir geben würde, sondern als Kontrapunkt zu all den Identitätsformeln, in die man heute hineingepresst wird, sobald man wagt, eine Haltung zu haben.

Denn wenn „rechts“ ursprünglich einmal „konservativ“ bedeutete, im Sinne eines Bewahrens, dann gäbe es durchaus etwas, das ich radikal bewahren möchte: den Menschen. Seine unveräußerliche Würde, seine Freiheit, seine Rechte. Jenes stille Zentrum aller humanistischen Traditionen, von den Deklarationen der Menschenrechte bis zu den Worten jener Nazaréner-Figur, die von Nächstenliebe sprach, lange bevor politische Bewegungen daraus Pathos oder Parolen formten.

Radikal wäre dann nicht die Verrohung, sondern das kompromisslose Bestehen auf Mitmenschlichkeit.
Radikal wäre nicht Abwertung, sondern die Weigerung, irgendeinen Menschen zu entwerten.
Radikal wäre die Entscheidung, den Menschen ernst zu nehmen – gerade dort, wo autoritäre Systeme ihn zur Figur im eigenen Machtspiel degradieren wollen.

Dieser Gedanke steht jedoch quer zur politischen Wirklichkeit. Die Etiketten, die heute verteilt werden, haben wenig mit innerer Haltung zu tun. Wer grundlegende Menschenrechte verteidigt, wer sich gegen Menschenverachtung stellt, gilt in den Augen gewisser Milieus automatisch als „links“, gern auch als „linksextrem“. Man muss nur die AfD in ihrem enthemmten Weltbild fragen, schon ist man „Feind des Volkes“.

Doch zugleich fremdel ich mit jenen linken Identitätsangeboten, die Brüderlichkeit beschwören und dabei doch eine subtile Form der Vereinnahmung betreiben. „Genosse“ zu sein fällt mir schwer, wenn das Wort weniger Solidarität meint als Gruppenzugehörigkeit. Autoritäre Linke sind mir nicht minder fremd als autoritäre Rechte; beide eint ein misstrauischer Blick auf den Menschen. Beide trauen ihm nicht viel zu. Beide glauben, ihn umerziehen, lenken, führen zu müssen.

Ich aber möchte bewahren, was uns als Menschen ausmacht – nicht unter nationalistischen Vorzeichen, nicht unter revolutionären, sondern unter menschlichen. Und dieses Bewahren ist, wenn man es ernst nimmt, tatsächlich eine radikale Aufgabe: Denn es bedeutet, sich gegen jede Ideologie zu stellen, die Menschen reduziert, aussondert oder instrumentalisiert, ganz gleich, von welcher politischen Seite sie kommt.

Vielleicht braucht es heute einen Begriff für jene, die sich nicht in die Stammeslogiken unserer Zeit einfügen wollen; für jene, die keinen ideologischen Block vertreten, sondern das fragile Fundament des Menschlichen. Einen Begriff, der nicht rechts und nicht links ist, sondern vorpolitisch und zugleich zutiefst politisch: die Behauptung, dass der Mensch mehr ist als seine Zuschreibungen.

Ich weiß, wie schnell Missverständnisse entstehen. Deshalb schreibe ich nicht „Ich bin rechtsradikal“. Ich schreibe etwas anderes:

Ich bin radikal im Bewahren des Menschlichen.
Und wenn das heute als Provokation gilt, dann zeigt das vielleicht nur, wie nötig sie ist.

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